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„In zehn Jahren sollte jede zweite global produzierte Tonne Stahl grün sein.“

Stefan Lechtenböhmer

Stahl wird nicht von heute auf morgen grün. Bis zur Umstellung auf die wasserstoffbasierte Direktreduktion werden reale CO2-Einsparungen aus dem klassischen Hochofenverfahren in grünen Stahlprodukten bilanziert. Wie bewertet die Wissenschaft diesen Weg? Und welche Rahmenbedingungen sind notwendig, damit sich grüner Stahl am Markt etabliert? Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie zur Transformation der deutschen Stahlindustrie.

Das Interview führte: Katja Marx; Foto: Wuppertal Institut

Herr Lechtenböhmer, zu Ihren Arbeitsschwerpunkten zählt der Wandel der Grundstoffindustrie in Richtung Klimaneutralität. Wie bewerten Sie den Transformationspfad von thyssenkrupp Steel?

Die Direktreduktion mit grünem Wasserstoff ist zurzeit die einzige Möglichkeit, Primärstahl klimaneutral herzustellen. Wir sind deshalb sehr froh, dass thyssenkrupp Steel, wie auch andere Stahlhersteller, aktiv daran arbeitet, die Produktion auf diese Technologie umzustellen.

Woher kommt in Ihren Szenarien der grüne Wasserstoff, der dafür sorgt, dass die Abkehr von einer kohlebasierten Reduktionsmetallurgie gelingen kann?

Was die Herkunft des grünen Wasserstoffs angeht, gibt es in den Szenarien noch sehr hohe Bandbreiten. Das heißt, die Optionen sind viel- fältig, die Unsicherheiten ebenso. Als Standorte für die Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen haben die Nord- und Ostsee sowie das skandinavische Festland sehr große Potenziale, die auch für die Wasserstoffher- stellung genutzt werden sollen. Hier stehen zahlreiche ambitionierte Projekte bereits in den Startlöchern. Ähnliches gilt für Spanien und zunehmend für weitere südeuropäische Länder. Auch Länder wie Chile und Saudi-Arabien mit ihren günstigen Standortbedingungen für Solarenergie planen aktiv in die Wasserstoffpro- duktion einzusteigen. Für sie kommt allerdings der Transport des Wasserstoffs per Schiff, entweder verflüssigt oder als Ammoniak, als Kostenfaktor hinzu.

Weltweit werden langfristig weiterhin kohlebasierte Anlagen betrieben, in denen sich Stahl viel günstiger produzieren lässt. Wird grüner und somit teurerer Stahl aus Deutschland und Europa genug Abnehmer finden?

Die Märkte für grünen Stahl scheinen derzeit rasant zu wachsen. Immer mehr große Automobilhersteller haben angekündigt, steigende Mengen grünen Stahls einzusetzen. Trotzdem sind die absehbar hohen Mehrkosten, gerade für Stahl, der mit grünem Wasserstoff hergestellt wurde, ein Problem. Daher ist eine Unterstützung der Industrie über die aktuell diskutierten Klimaschutzverträge ebenso wichtig wie ein geeigneter Schutz vor Carbon Leakage. Auch, weil Stahl global gehandelt wird, ist es zentral, dass möglichst viele Länder parallel ähnliche Strategien verfolgen. Deutschland hat sich im Rahmen der UN bereits mit mehreren Staaten sowie großen Unternehmen zusammengetan, um die Nachfrage nach grünem Stahl zu organisieren und Märkte zu etablieren. Und die USA haben gerade einen ganz ähnlichen Plan verkündet. Aus diesen Initiativen könnte ein transnationaler Stahl-Klima-Club entstehen, der eine gemeinsame, ambitionierte und faire Transformation der Stahlproduktion in wichtigen produzierenden Ländern ermöglicht

Wie und in welcher Geschwindigkeit wird sich der Markt für grünen Stahl in den kommenden Jahren entwickeln?

Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, über Ersatzinvestitionen in die Hochofenroute massive CO2-Emissionen über Jahrzehnte zu zementieren, muss schon bis 2030 rund die Hälfte der deutschen Primärstahlproduktion grün sein, also aus Direktreduktionsanlagen kommen. Das gilt auch, wenn vielleicht noch nicht alle Anlagen vollständig mit grünem Wasserstoff betrieben werden können. Weltweit sehen die Zahlen ähnlich aus. Das heißt im Umkehrschluss, dass in zehn Jahren mindestens jede zweite global produzierte Tonne Stahl grün sein sollte.

Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, über Ersatzinvestitionen in die Hochofenroute massive CO2-Emissionen über Jahrzehnte zu zementieren, muss schon bis 2030 rund die Hälfte der deutschen Primärstahlproduktion grün sein.

Prof. Dr. Stefan Lechtenböhmer, Abteilungsleiter Zukünftige Energie- und Industriesysteme am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie

Welche politischen Rahmenbedingungen sind notwendig, damit die Transformation nicht nur technisch gelingt, sondern auch zum gewünschten Erfolg – einer klimaneutralen europäischen Stahlproduktion – wird?

In der Tat gelingt die Stahltransformation nur, wenn Unternehmen, Staat und Bürger eng zusammenarbeiten. Für den Anfang brauchen wir eine starke staatliche Förderung, damit die Unternehmen in die Lage versetzt werden, die kohlebasierten Hochöfen zu ersetzen. Parallel müssen die erneuerbaren Energien ebenso wie die Strom- und Wasserstoffinfrastrukturen schnell und massiv ausgebaut werden. Das benötigt nicht nur entsprechende Förderung, sondern auch Veränderungen in der Energieregulierung und beschleunigte Planungen. Und nicht zu vergessen, Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Gerade das breite Verständnis für die Notwendigkeit und die Herausforderungen der Transformation fällt nicht vom Himmel. Hier müssen Unternehmen und Politik gemeinsam mit den Gewerkschaften, Umweltverbän- den und weiteren Akteuren noch viel Überzeugungsarbeit leisten.

Inzwischen gibt es verschiedene „grüne“ Stähle am Markt, allerdings keine einheitliche Produktdefinition. Welche Kriterien muss ein klimaneutraler Stahl aus Ihrer Sicht erfüllen, um seinem Namen gerecht zu werden?

Klimaneutraler Stahl emittiert so wenig Treibhausgase wie möglich. Das heißt, die Energie sollte komplett regenerativ erzeugt werden und die geringen übrigen Emissionen, zum Beispiel aus dem Lichtbogenofen oder der Aufkohlung, sollten möglichst ebenfalls vermieden werden, etwa durch die Nutzung von Biomasse.
Allerdings werden wir diesen Standard nicht immer sofort erreichen. Erdgasbasierter Primärstahl reduziert die Treibhausgasemissionen um rund zwei Drittel. Da es beim Klimaschutz auf Geschwindigkeit ankommt, sollten solche signifikanten Verbesserungen Teil der Strategie sein.
Es muss sich dabei jedoch um einen zeitlich klar begrenzten Zwischenschritt in Richtung kompletter Klimaneutralität handeln.

Wie bewerten Sie vor diesem Hintergrund das von thyssenkrupp Steel angewandte Bilanzierungsmodell?

Das Modell ist für mich sehr glaubhaft und angemessen. Es basiert darauf, dass ein Teil des Metalls im Hochofen durch zugekauftes brikettiertes Eisen ersetzt wird, das mit Erdgas reduziert wurde. Dadurch werden nachweislich CO2-Emissionen sowohl im Hochofen als auch über die gesamte Vorkette gesenkt. Diese Emissionsminderung wird dann auf genau die Stahlmenge umgelegt, die dem eingesetzten Metall aus dem brikettierten Eisen entspricht. Das Unternehmen geht hier absolut transparent und nachvollziehbar vor. Insbesondere auch deshalb, weil klar kommuniziert wird, dass es nicht bei diesen ersten Schritten bleiben wird. Der Plan, nach und nach die gesamte Produktion auf dann klimaneutralen Stahl umzustellen, belegt, dass es hier nicht um eine Scheinlösung geht, sondern um einen ernsthaften ersten Schritt in Richtung Klimaneutralität.

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