Am 6. November fand in Berlin auf Einladung des Bundeskanzlers ein Dialog zur Zukunft der deutschen Stahlindustrie statt. Wie zufrieden sind Sie mit den Ergebnissen?
Der Dialog war ein wichtiger Schritt. Insgesamt bewerten wir die Ergebnisse positiv.
Besonders wichtig ist für uns die klare Unterstützung des Bundeskanzlers für einen wirksamen Handelsschutz. Jetzt kommt es darauf an, dass der Vorschlag der EU-Kommission schnell verabschiedet wird. Zudem gibt es erstmals ein klares Bekenntnis der Bundesregierung zu „European Content“. Das ist ein wirklich starkes Signal, um Wertschöpfung in Europa zu halten. Wir drängen auf eine schnelle Umsetzung. Es mangelt ja nicht an Erkenntnissen, sondern an Taten.
Sie sprechen den Handelsschutz an: Warum ist der Handlungsdruck hier so groß?
Europa ist der letzte große Markt ohne wirksamen Handelsschutz und globale Überkapazitäten drängen ungebremst zu uns. Die OECD erwartet bis 2025 rund 680 Millionen Tonnen Überkapazität – das Fünffache der europäischen Produktion. 2025 wird erneut ein Rekordjahr für Importe.
Während in Asien und im Nahen Osten weiter Kapazitäten entstehen, werden in Europa Anlagen stillgelegt und Transformationsprojekte verschoben. Ohne schnellen und wirksamen Handelsschutz verlieren wir weiter Marktanteile, Wertschöpfung und Arbeitsplätze. In strategischen Stahlanwendungsbereichen drohen akut neue Abhängigkeiten – mit spürbaren Risiken für unsere wirtschaftliche Sicherheit.
Vor dem Hintergrund hat die EU-Kommission Anfang Oktober einen Vorschlag für ein neues Handelsinstrument vorgelegt. Sind wir hier also auf dem richtigen Weg?
Ja, definitiv. Wir begrüßen den Vorschlag der Europäischen Kommission. Die Halbierung der zollfreien Importquoten, ein 50-prozentiger Zoll bei Überschreitung und die Einführung von „melt-and-poured“ sind absolut notwendig. Die Stahlindustrie drängt auf eine schnelle Verabschiedung. Aber das reicht nicht, um Wertschöpfung in Europa zu sichern. Der starke Anstieg der Importe von weiterverarbeitetem Stahl ist ebenfalls alarmierend. Deshalb braucht es auch wirksamen Handelsschutz für Stahlderivate. Wenn der politische Wille da ist, kann die EU einen solchen Gesetzesvorschlag in wenigen Monaten vorlegen und verabschieden. Dafür müssen Stahlproduzenten und Stahlanwender geschlossen und mit einer Stimme auftreten.
Was entgegen Sie denen, die in diesem Vorgehen Protektionismus sehen, der hierzulande den Wettbewerb beim Bezug von Stahlprodukten schwächt?
Es geht hier nicht um Abschottung, sondern um fairen Wettbewerb. Importe bleiben weiterhin möglich. Aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die Welt verändert hat: Große Industrienationen schützen ihre Märkte durch handelspolitische Maßnahmen und Local Content-Vorgaben. Die befürchteten Preiseffekte halten wir für moderat: etwa ein Euro mehr für eine Waschmaschine und rund fünfzig Euro für ein Auto. Das ist aus unserer Sicht ein sehr fairer Preis für die Sicherung unserer industriellen Basis.
Kommen wir zum Thema „European Content“, zu dem sich die Bundesregierung im Rahmen des Stahldialogs auch bekannt hat. Wird damit künftig nur noch heimischer Stahl in Brücken oder Schienen verbaut?
Wir begrüßen, dass Bundesregierung und Gewerkschaften klar zu European Content stehen. Wenn öffentliche Gelder eingesetzt werden, sollten heimische Unternehmen bevorzugt werden – das stärkt Versorgungssicherheit und industrielle Souveränität. Viele Länder machen das längst so. Ja, es kann teurer sein, aber wer Abhängigkeiten vermeiden will, darf nicht die eigene Industrie schwächen.
Darüber hinaus braucht es Anreize für den Einsatz von CO2-armem Stahl Made in Europe, von denen auch unsere Kunden profitieren – etwa indem die CO2-Einsparung beim Stahl auf die Flottengrenzwerte der Automobilindustrie angerechnet wird. Das schafft Nachfrage nach „grünem“ Stahl und verschafft der Autoindustrie mehr Flexibilität bei der Erreichung ihrer Ziele.
Beim Emissionshandel möchte die Bundesregierung der Industrie entgegenkommen und das Auslaufen der freien Zuteilungen im Emissionshandelssystem zeitlich verschieben. Gefährdet dies nicht die Transformation?
Nein, im Gegenteil. Eine zeitliche Streckung des Auslaufens der freien Zuteilungen kann die Transformation sogar stabilisieren. Klimaschutz muss Teil einer europäischen Resilienz- und Sicherheitspolitik sein – und Klimapolitik, faire Wettbewerbsbedingungen und Industriestärke gehören zusammen gedacht. Entscheidend ist für uns, dass die freien Zertifikate erst dann reduziert werden, wenn der CBAM reformiert und seine Wirksamkeit eindeutig bewiesen ist. Solange das nicht der Fall ist, würde ein zu steiler Abbau nur die Wettbewerbsfähigkeit gefährden, ohne dem Klima zu nutzen.