Und hier kommt thyssenkrupp Uhde ins Spiel …
Genau. Wir haben die Technologien und bauen Anlagen, die den grünen Wasserstoff mithilfe von Stickstoff aus der Umgebungsluft in Ammoniak umwandeln. Diese Verbindung besitzt eine höhere Energiedichte als Wasserstoff und ist daher stabiler und günstiger über weite Strecken transportierbar. Vor der Nutzung wird das zuvor verflüssigte Gas wieder aufgespalten, um den Wasserstoff zurückzugewinnen. Auf diese Weise lässt sich die gesamte Wasserstoffkette völlig kohlenstofffrei abbilden, von der Erzeugung in sonnen- und windreichen Ländern bis zum Verbrauch, zum Beispiel im Stahlwerksprozess.
Wie genau gelangt das Ammoniak zu den großen Abnehmern?
Da gibt es unterschiedliche Szenarien. In Deutschland wird darüber diskutiert, LNG-Terminals an den Häfen und Küsten künftig auf Ammoniak umzustellen. In der Nachbarschaft dieser Terminals ließen sich Umwandlungsanlagen errichten, so genannte Ammoniak-Cracker. Von dort geht es dann per Pipeline weiter, es gäbe also künftig ein weit verzweigtes Wasserstoffnetz. Eine andere Variante wäre die dezentrale Versorgung, nahe an den großen Verbrauchszentren, zum Beispiel der Rhein-Ruhr-Region. Ammoniak würde dann erst einmal weit ins Landesinnere transportiert, um es entweder direkt zu verwenden oder mit kleineren Anlagen umzuwandeln.
Herstellung, Umwandlung, Transport: Um die Vision einer komplett grünen Wasserstoffkette zu verwirklichen, müssen viele Akteure ihren Beitrag leisten …
Absolut. Damit die Energie- und Industriewende gelingt, braucht es neue Kooperationen und Offenheit von Seiten der Unternehmen. Da tun sich dann vielleicht der schottische Offshore-Windanlagenbetreiber und das Unternehmen aus der Chemieindustrie zusammen, um gemeinsam grüne Chemikalien zu produzieren. Kooperationen sind auch sinnvoll, um die Energieverluste innerhalb der Kette so gering wie möglich zu halten. Wobei Verlust eigentlich das falsche Wort ist, denn die Energie geht nicht verloren, sondern wird beispielsweise in Wärme umgewandelt und kann als solche auch zu einem Teil genutzt werden. Ähnliches gilt für andere Nebenprodukte, allen voran für das klimaschädliche CO2. Im Verbundprojekt Carbon2Chem testen wir diese geschlossenen Kopplungsmechanismen gemeinsam mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft. Wir nutzen Hüttengase aus der Stahlherstellung und wandeln sie mithilfe von grün produziertem Wasserstoff zu klimaneutralen chemischen Vorprodukten um. Die Versuchsanlage steht in Duisburg, und wir arbeiten dort nicht nur mit thyssenkrupp Steel und thyssenkrupp nucera zusammen, sondern auch mit Partnern aus der gesamten Chemieindustrie. Das sind Unternehmen, die in grünen Wertschöpfungsketten enger zusammenrücken werden.
thyssenkrupp Steel wird perspektivisch kein CO2 mehr produzieren. Sind die gerade angesprochenen Technologien zur CO2- Nutzung eine Übergangstechnologie auf dem Weg in die Wasserstoffwirtschaft?
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass wir weiterhin in einer Welt der Kohlenwasserstoffe leben, der Kohlenstoff wird nicht verschwinden. Hinzu kommt, dass weltweit in vielen industriellen Prozessen auch langfristig noch fossile Energieträger eingesetzt werden. Folglich wird uns das Recycling von Kohlenstoff, das sogenannte „Carbon Capture & Utilization“-Verfahren (CCU), über Jahrzehnte dabei unterstützen, klimafreundliche Technologieketten darzustellen. In den USA mit ihren großen Erdgasvorkommen wird beispielsweise gerade enorm in die Produktion von sogenanntem blauen Wasserstoff investiert. Das freigesetzte CO2 wird also aufgefangen und gespeichert beziehungsweise weitergenutzt. In den Importmärkten Europa und Asien fehlt es aber noch an politischer Klarheit, zu welchen Bedingungen und vor allen Dingen für wie lange wir blaue Energieträger zulassen wollen. Diese Haltung wiederum erschwert den Übergang, denn kaum ein Investor geht das Risiko ein, eine Anlage zu bauen, die keine langfristige Abnahmesicherheit hat. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch in 200 Jahren noch in einer Welt leben, in der es Kohlenwasserstoffe gibt. Und dieser Kohlenwasserstoff muss möglichst grün sein.
Herr Radtke, vielen Dank für das Gespräch!