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Robert Schlögl und Reinhold Achatz

Mit „Carbon2Chem®“ möchten Robert Schlögl (l.), Direktor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion, und Reinhold Achatz, Technologiechef von thyssenkrupp, nichts Geringeres als die Energiewende umsetzen.

(Interview: Judy Born, Fotos: Catrin Moritz)

Was verbirgt sich hinter dem Projekt Carbon2Chem®?

Achatz: Das langfristige Ziel besteht darin, Hüttengase, die bei der Stahlproduktion entstehen, für die Produktion von Chemikalien wie Ammoniak und Methanol zu nutzen, anstatt sie in Kraftwerken zu verbrennen. Damit verringern wir den Kohlendioxidausstoß dauerhaft. Der dafür benötigte zusätzliche Wasserstoff soll mithilfe erneuerbarer Energien produziert werden. So wird mit Carbon2Chem® der in den Hüttengasen enthaltene Kohlenstoff wirtschaftlich genutzt und nicht als CO2 in die Umwelt abgegeben.

Schlögl: Das ist ein völlig anderer Ansatz als bisher, denn in aller Regel versuchen wir, CO2 durch Vermeidung einzusparen. Das ist aber bei der Stahlherstellung nicht mehr möglich. Hierzulande arbeiten wir bereits mit dem minimalsten Einsatz von Kohlenstoff. Ebenso in anderen Branchen, wie bei der Glas- oder Zementherstellung und beim Kalkbrennen. Das geht ebenfalls nicht ohne Kohlenstoff, deswegen wird es immer eine signifikante Menge dieser CO2-Quellen geben.

Robert Schlögl (l.)und Reinhold Achatz
Für das Gespräch trafen sich Robert Schlögl (l.) und Reinhold Achatz bei thyssenkrupp in Essen.

Carbon2Chem® lässt sich demnach auch für andere Bereiche adaptieren?

Schlögl: Selbstverständlich, das wird von Beginn an mitgeplant. Bei dem gewaltigen Forschungsaufwand wäre es sehr kurzfristig gedacht, wenn wir das alles nur für eine Anwendung betreiben würden. Wir entwickeln hier einen Baukasten, aus dem sich Module zur Umsetzung der Energiewende generieren lassen. Das ist unser Ziel. Und thyssenkrupp leistet hier als erstes Wirtschaftsunternehmen zusammen mit der Wissenschaft wahre Pionierarbeit.

Achatz: Dies ist eine Chance für alle 17 Projektpartner, die an Carbon2Chem® beteiligt sind. Es geht hierbei nicht um eine einzelne Lösung, sondern am Ende sind alle Technologiemodule verknüpfbar. Die erste Anwendung im Stahlbereich lässt sich in Abwandlungen sicher einige hundertmal implementieren – wie beispielsweise in der Zementindustrie, die für thyssenkrupp ja ebenfalls interessant ist.

Reinhold Achatz

Wenn wir erneuerbare Energie nutzen wollen, müssen wir sie speichern können.

Reinhold Achatz

Stichwort „erneuerbare Energien“ – wie wollen Sie die nutzen?

Achatz: Alle Technologien, die wir im Rahmen von Carbon2Chem® entwickeln, werden zur Umsetzung der Energiewende benötigt. Wenn wir die gesamte erzeugte erneuerbare Energie nutzen wollen, müssen wir sie speichern können oder die Verbraucher flexibilisieren. Denn niemand kann bestimmen oder langfristig voraussehen, wann der Wind weht oder die Sonne scheint.

Schlögl: Und dafür braucht es eine Lösung. Das ist nur ein Baustein von vielen, denn wir müssen ja systemisch denken. Also alles bis zu Ende überlegen und prüfen, welche Konsequenzen ein Ergebnis für den nächsten Baustein hat. Viele der Ideen sind nicht neu, doch wir setzen sie erstmals um und schauen, ob und wie sie miteinander harmonieren. Es nützt nichts, wenn wir an einer Stelle Schadstoffe einsparen, um sie an anderer Stelle wieder abzugeben oder gar neu zu produzieren.

Achatz: Deshalb wollen wir mit Carbon2Chem® den Kohlenstoff im Kreislauf führen, sodass er nicht freigesetzt, sondern nach der Nutzung in der Stahlproduktion gleich wiederverwertet wird.

Sie arbeiten also ebenfalls an der Möglichkeit, Strom zu speichern?

Achatz: Ganz genau. Das ist einer der vielen Bausteine des Systems Carbon2Chem®. Das Hauptproblem bei den erneuerbaren Energien ist nicht die Menge des Stroms, sondern die zeitliche Verteilung dieser Menge. Denn sie ist nicht synchron zum Verbrauch.

Schlögl: Einen Stromüberschuss in dem Sinne gibt es ja derzeit nicht. Weil das Netz den Überschuss nicht speichern kann. Wenn bei uns mehr Sonnen- und Windkraft vorhanden ist, als Strom verbraucht wird, schaltet man einen Teil der Solarpanels und Räder einfach ab.

Robert Schlögl (l.) und Reinhold Achatz
Enge Verbindung: Bei Robert Schlögl (l.) und Reinhold Achatz stimmt die Chemie.

Man braucht demnach nicht zwingend einen Stromüberschuss, um den nötigen Wasserstoff zu produzieren?

Schlögl: Nein. Sie können zwar Windparks oder Solarkraftwerke bauen, die nur dafür Strom erzeugen. Aus ökonomischen Gründen streben wir das momentan jedoch nicht an. Denn dort, wo wir entsprechende Energieanlagen bauen könnten, ist es relativ schwer, den ganzen restlichen systemischen Prozess herumzubauen.


Und wie sieht das nun konkret aus?

Achatz: Wir haben am 2. November den Grundstein für unser Technikum in Duisburg gelegt. In einem Jahr wollen unsere Partner und wir am Rande des Stahlwerks mit realen Hüttengasen arbeiten. Die Teams sind dort von ein paar Wochen bis zu mehreren Monaten vor Ort zusammen. Ansonsten wird in den jeweiligen Organisationen unserer Partner geforscht.

Schlögl: Carbon2Chem® ist in mehrere Teilbereiche untergliedert. Wir haben natürlich Zwischenziele definiert. Das ist gerade bei langfristigen Projekten essenziell. So sind wir in der Lage, uns den Veränderungen der Welt immer wieder anzupassen.

Achatz: Als thyssenkrupp müssen wir in dieser Richtung generell weitergehen und bei all unseren Entwicklungen agil bleiben. Nur so können wir uns jederzeit wieder neu positionieren.

Robert Schlögl

Die Hälfte des Energieproblems kann man mit Sparen lösen, die andere nicht. Und dafür müssen wir Lösungen finden.

Robert Schlögl

Was verspricht sich die thyssenkrupp AG bzw. ihr Stahlbereich von dem Projekt?

Achatz: Wir müssen Rahmenbedingungen schaffen, um die Stahlerzeugung in Deutschland zu halten. Die Herausforderung liegt einerseits im Wettbewerb, wie dem chinesischen Markt, aber auch in den Klimazielen der EU. Wir müssen also einen Weg finden, Stahl in Europa effizient und CO2-arm zu produzieren.

Schlögl: CO2-arm bedeutet in dem Fall ohne großen CO2-Ausstoß. Wir fahren den Kohlenstoff ja im Kreislauf und bieten ihn in Form von Chemikalien zur Weiterverarbeitung an. Chemische Stoffe, die andere Firmen sofort für ihre Zwecke nutzen können und nicht selber Kohlenstoff einsetzen müssen, um sie herzustellen.

Achatz: Und es geht noch weiter – wir möchten die Technologien von Carbon2Chem® nicht nur bei uns anwenden, sondern über unseren Geschäftsbereich Industrial Solutions weltweit vermarkten. Durch den Verkauf dieser Anlagen werden auch viele andere Unternehmen CO2 einsparen und die Methoden nutzen, Kohlenstoff im Kreislauf zu führen. Das wird, so hoffen wir, einen großen Multiplikationseffekt haben.

thyssenkrupp wird also Partner der Chemie- und Energieindustrie?

Achatz: Das sind wir ja schon, aber die Partnerschaft wird sich verstärken. Wir bauen seit Langem einen Großteil der Chemiewerke und Energieanlagen in Deutschland und der Welt. Strom und Wärme liefern wir ebenfalls bereits ins Netz, wenn auch nur regional. Das soll sich künftig steigern. Wir unterstützen definitiv die Umsetzung der Energiewende.

Schlögl: Überlegen Sie mal, wer anderes als die Industrie ist denn in der Lage, die Energiewende zu schaffen und umzusetzen? Wir als Wissenschaftler können Werkzeuge liefern, aber den globalen Kohlenstoffkreislauf kann faktisch nur die Industrie in Ordnung bringen.

Achatz: Für thyssenkrupp ist Nachhaltigkeit schon seit Längerem ein wesentliches Ziel. Nämlich ökonomisch, umweltbewusst und sozial verträglich zu sein. Natürlich gibt es Technologien, die schädlich sind, aber ebenso welche, die uns helfen. Mit Carbon2Chem® zielen wir ganz klar auf letztere. Und da reicht nicht nur eine Technologie, sondern es ist nötig, viele zu kombinieren, die ineinandergreifen. Wir kommen nicht umhin, die Energiewende als System zu begreifen, nur so wird sich das Problem lösen lassen.


Ist das überhaupt zu schaffen?

Achatz: Es muss uns einfach gelingen – nicht nur aus Sicht der Industrie, auch als Gesellschaft. Bei thyssenkrupp fahren wir daher zweigleisig. Auf der einen Seite haben wir das Global Energy Efficiency Programme (GEEP), das auf das Einsparen von Schadstoffen ausgelegt ist. Auf der anderen Seite stehen Projekte wie Carbon2Chem®, mit denen wir erste Schritte zu einer Kreislaufwirtschaft von Kohlenstoff unternehmen. Das ist in diesem Fall auch kein Widerspruch, denn wir bekommen, wie gesagt, das Problem nicht nur auf einem Weg gelöst.

Schlögl: Grob gesagt, die Hälfte des Energieproblems kann man mit Sparen lösen, die andere nicht. Und für diese Hälfte müssen wir Lösungen finden. Das sind schon enorme Herausforderungen, die wir in den nächsten zehn Jahren bewältigen müssen.

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Partner aus Industrie, Wirtschaft und Forschung sind an der Umsetzung und Finanzierung des Projekts „Carbon2Chem®“ beteiligt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das Vorhaben mit 60 Millionen Euro.

Köpfe

  • Prof. Robert Schlögl

    ist Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion in Mülheim/Ruhr. 2013 übernahm er eine Honorarprofessur an der Universität Duisburg-Essen. Seit 1994 leitet Schlögl das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin und unterrichtet hier an der TU sowie der Humboldt-Universität.

  • Dr. Reinhold Achatz


    leitet seit 2012 das Ressort Technology, 
Innovation and Sustainability der thyssenkrupp AG. Zuvor war Achatz in gleicher Position für die Siemens AG tätig, wo er seine Karriere 1980 als Software-Ingenieur begann. Er ist Mitglied zahlreicher Organisationen und Institute, wie etwa des deutschen Wissenschaftsrates.

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