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Unter neuer Leitung

In neuer Funktion: André Matusczyk (l.) als CEO/CTO thyssenkrupp Hohenlimburg und Simon Stephan als Senior Vice President Sales Automotive bei thyssenkrupp Steel.

Im Interview sprechen André Matusczyk, CEO/CTO von thyssenkrupp Hohenlimburg, und Simon Stephan, Leiter Sales Automotive thyssenkrupp Steel über die Herausforderungen des Werkstoffs Stahl in Zeiten von Klimaschutz und fragilen Lieferketten.

Herr Matusczyk, Sie standen viele Jahre an der Spitze des Flachstahlvertriebs für die Automobilindustrie. Jetzt sind Sie Geschäftsführer von thyssenkrupp Hohenlimburg. Ist der Wechsel auch ein Abschied aus der Automobilwelt?

MATUSCZYK: In meiner neuen Funktion verantworte ich neben dem Vertrieb nun auch die Technik, Produktionsplanung und das Qualitätswesen unserer Mittelbandproduktion. Die direktere Einflussnahme auf das Produkt macht meine neue Aufgabe herausfordernd, aber auch extrem reizvoll. Gleichzeitig verbreitert sich mein Marktzugang und damit meine Perspektive auf den Werkstoff Stahl. Neu für mich sind zum Beispiel das Geschäft mit den Kaltwalzern und Feinstanzern sowie bestimmte Anwendungen im Bereich landwirtschaftlicher Maschinen. Aber auch die Automobilindustrie bleibt ein wichtiger Teil meiner Arbeit. Das Spezialprodukt Mittelband precidur® ist vor allem bei den Autobauern und den zuliefernden Kaltwalzern ein gefragter Werkstoff.

Herr Stephan, für Sie war der Weg von China an die Ruhr deutlich weiter …

STEPHAN: Ja, aber nur geografisch. Die Produktlandschaft der Premium-Stähle für die Automobilindustrie war auch schon in China mein Revier. Dort war ich zuletzt Geschäftsführer von Tagal in Dalian, einem Joint Venture von thyssenkrupp Steel und Ansteel. Tagal betreibt in China mit verschiedenen Partnern vier moderne Feuerbeschichtungsanlagen für hochwertige Automobilfeinbleche. Vor dieser Zeit konnte ich unter anderem Erfahrung als Managing Director bei einem internationalen Automobilzulieferer sammeln. Mir ist daher auch die Nachfrage-Seite nicht unbekannt. Bei Sales Automotive in Duisburg ist für mich die Vermarktung von Elektroband der Marke powercore® neu, angesichts der anstehenden Mobilitäts- und Energiewende eine ganz besondere Herausforderung.

Das Gespräch fand In der Hagener Hauptverwaltung von thyssenkrupp Hohenlimburg statt.
Das Gespräch fand In der Hagener Hauptverwaltung von thyssenkrupp Hohenlimburg statt.

Man merkt Ihnen beiden Ihre Leidenschaft für Stahl an. Was genau macht diese Faszination aus?

STEPHAN: Stahl ist der erfolgreichste Leichtbauwerkstoff im Automobilbau. Und die Erfolgsgeschichte geht weiter. Denn natürlich ist der Stahlleichtbau auch bei Elektrofahrzeugen weiterhin ein wichtiges Thema. Hauptgrund für den anhaltend hohen Einsatz von Stahl ist dabei die Wirtschaftlichkeit des Werkstoffs – wichtig, um auch zukünftig individuelle Mobilität erschwinglich für alle zu gestalten. Stahl ist aber auch bei der Erzeugung regenerativer Energie aus Wind- und Wasserkraft unverzichtbar. Ohne unseren Werkstoff findet keine Energie- und keine Mobilitätswende statt.

MATUSCZYK: In unserer Region wird Stahl seit mehr als 400 Jahren verarbeitet, Mittelband in Hohenlimburg seit nun 150 Jahren. Heute sind Hagen und das Sauerland ein wichtiges Zentrum für die Kaltwalzindustrie in Deutschland. Und wir liefern mit qualitativ hochwertigem Mittelband precidur® Vormaterial mit engsten Toleranzen für unsere Kunden, von denen die Hälfte in einem Radius von nur 60 Kilometern um unser Werk produziert. Die Faszination des Werkstoffs Stahl besteht für mich aber auch in seiner universellen Nutzung und der kontinuierlichen Weiterentwicklung zu seiner heutigen Leistungsfähigkeit. Nicht umsonst bezeichnen wir warmgewalztes Mittelband aus Hohenlimburg auch als Precision Steel.

Was genau zeichnet den Stahl von morgen aus?

STEPHAN: Gerade bei Karosserie- und festigkeitsgetriebenen Strukturelementen von Elektrofahrzeugen steigen die Anforderungen. Bestes Beispiel: der Batteriekasten, der die empfindliche Spannungsquelle des Elektrofahrzeugs im Crashfall schützen muss. Zudem verlangen anspruchsvolle Anwendungen mit komplexen Anforderungen an die Umformgrade bei gleichzeitig hoher Endfestigkeit nach optimierten Materialien. Hier stehen wir mit den AHSS-Stählen der dritten Generation, modernen höchstfesten Mehrphasen-Stählen jetQ®, in den Startlöchern. Zugleich arbeiten wir weiter daran, seit Jahrzehnten etablierte Stahltechnologien wie die Warmumformung zu optimieren. Unsere neue Oberflächenbeschichtung AS Pro zum Beispiel reduziert gegenüber heutigen Marktlösungen deutlich die prozessbedingte Wasserstoffaufnahme und damit das Risiko einer wasserstoffinduzierten Rissbildung bei Bauteilen aus höchstfesten Mangan-Bor-Stählen MBW®.

MATUSCZYK: Neue hochduktile, mikrolegierte Stähle precidur® HSM HD bieten beste Voraussetzungen zum Beispiel für leichte, crashsichere und wirtschaftliche Fahrzeugsitze ohne Einschränkungen beim Komfort. In der Landwirtschaft gibt es ebenfalls Anwendungen, bei denen Stahlwerkstoffe stark gefordert sind: Beispiel Mähbalken – ein stark belastetes Bauteil mit hohem Komplexitätsgrad. Enge Toleranzen, hohe Belastbarkeit und gute Verarbeitungseigenschaften sind daher generell prägend für unsere Entwicklungstätigkeit. Das beherrschende Thema der nächsten Jahrzehnte für uns alle ist aber ganz sicher die Dekarbonisierung der Stahlindustrie.

André Matusczyk (l.) und Simon Stephan verschaffen sich gemeinsam einen Überblick über die Chancen des Werkstoffs Stahl in Zeiten von Klimawandel und fragilen Lieferketten.
André Matusczyk (l.) und Simon Stephan verschaffen sich gemeinsam einen Überblick über die Chancen des Werkstoffs Stahl in Zeiten von Klimawandel und fragilen Lieferketten.

Gutes Stichwort: Klimaschutz, Krisen und gestörte Lieferketten – müssen sich auch die Geschäftsmodelle der Stahlindustrie ändern?

STEPHAN: Nicht nur wenn wir saubere Mobilität wollen, muss auch der Werkstoff Stahl CO2-frei hergestellt werden. Auch alle anderen Branchen haben ihre Bedarfe an CO2-optimierten Produkten angemeldet. Wir haben für die Transformation der Stahlherstellung eine eigene Technologie entwickelt und uns sehr ehrgeizige Ziele gesteckt. 2030 wollen wir bereits eine große Menge CO2-reduzierter Produkte der Marke bluemint® Steel liefern und in Summe mehr als 30 Prozent CO2 einsparen. Bis spätestens 2045 wollen wir CO2-frei werden. Das ist aber nicht mal eben so getan – die Technologie ist extrem teuer. Im internationalen Wettbewerb können wir damit nur bestehen, wenn für alle Stahlanbieter die gleichen Regeln gelten. Hier, in China, Indien und überall sonst auf der Welt. Das kann nur die Politik regeln. Gleichzeitig muss jedem klar sein, dass es Umweltschutz und Null-Emission nicht umsonst gibt.

MATUSCZYK: Vollkommen richtig. Zum Klimaschutz gehört darüber hinaus, dass wir standortspezifisch auch alle Verarbeitungsstufen nachhaltig gestalten. Der Einsatz von regenerativen Energien und grünem Wasserstoff ist hier wesentlicher Hebel einer Entwicklung, die uns über Jahrzehnte begleiten wird. Eine aktuelle Herausforderung stellen die globalen Lieferketten dar. Dass sie höchst fragile Konstruktionen sind, wissen wir nicht erst seit Corona und der Ukraine-Krise. Langfristig angelegte Lieferbeziehungen, strategische Partnerschaften und regionale, robuste Lieferketten sind Grundlagen einer hohen Versorgungssicherheit und werden zukünftig die Kundenbeziehungen in der Stahlindustrie wieder stärker bestimmen. Precision Steel ist hier als fester Partner der regional konzentrierten Kaltwalzerindustrie in einer besonders guten Ausgangssituation. In Hohenlimburg wird ein wesentlicher Teil des Mittelbands für die Region produziert.

Was möchten Sie im nächsten halben Jahr bewegen?

MATUSCZYK: Ich möchte die exzellente Position von thyssenkrupp Hohenlimburg als Spezialist für Mittelband mit optimierten Toleranzen absichern und unter anderem durch konsequente Digitalisierung weiter ausbauen – in der Automobilindustrie und bei unseren Kunden aus anderen Geschäftsfeldern. Über eine gezielte Diversifizierung managen wir branchenspezifische Risiken und sichern unser breites Produkt- und Anwendungs-Know-how nachhaltig ab.

STEPHAN: Ich freue mich besonders darauf, die Entwicklung unserer starken Marke thyssenkrupp Steel weiter voranzutreiben. Für mich heißt das, jeden Tag im Team an unserer Position als kompetenter und zuverlässiger Partner für unsere Kunden zu arbeiten. Darüber hinaus ist es mein Ziel, den strategischen Portfolio-Shift mit Fokus auf höchstfeste Güten für die Automobilindustrie sowie die rasante Elektrifizierung im Fahrzeugbau durch ein entsprechendes Angebot an Premium-Elektroband-Sorten erfolgreich zu begleiten.

Vielen Dank und Ihnen beiden gutes Gelingen.

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