Ökostrom nachhaltig verteilen - Elektroband für die Energiewende
Für die Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen brauchen wir flexible, elektrische Netze
© Fotos: thyssenkrupp Steel
Soll die Energiewende gelingen, reicht es nicht, Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen. Er muss auch nachhaltig verteilt werden. Ökostrom aus Windkraft- und Solaranlagen ist zwar gut für die Umwelt, eine zuverlässige Energieversorgung ist jedoch nur dann gewährleistet, wenn er mit konstanter Frequenz und Spannung in die Übertragungsnetze eingespeist werden kann. Nicht nur die großen Energieversorger setzen auf nachhaltige Stromerzeugung. Immer mehr Verbraucher produzieren ihren Strom mittlerweile selbst, beispielsweise durch Solarzellen auf dem Dach. Das führt zu einem stetigen Ausbau von dezentralen, regenerativen Energiequellen.
Kornorientiertes Elektroband ermöglicht neue Netzstruktur
Der Forschungscampus FEN an der RWTH Aachen hat sich deshalb die Erforschung und Entwicklung eines flexiblen, elektrischen Stromnetzes zur Aufgabe gemacht. Hier sollen unter anderem verschiedene, neue Technologien erarbeitet werden, wie diese Energie künftig sowohl effizient als auch sicher und bezahlbar verteilt werden kann.
Das Konsortium setzt sich aus Vertretern aus Wissenschaft und Unternehmen zusammen. Im Interview sprechen Professor Rik De Doncker, Geschäftsführer des Forschungscampus Flexible elektrische Netze (FEN), und Dr. Andreas Jansen, Leiter Qualität und F&E bei thyssenkrupp Electrical Steel, über die Nutzung erneuerbarer Energien und welche Rolle kornorientiertes Elektroband dabei spielt.
Prof. De Doncker, Sie leiten an der RWTH Aachen den Forschungscampus für flexible elektrische Netze, kurz FEN. Worum geht es bei diesem Projekt?
De Doncker: Unser elektrisches Versorgungssystem wird sich künftig weiter verändern hin zu umweltschonenden dezentralen Energiequellen. Dafür brauchen wir jedoch eine neue Netzinfrastruktur, um diese Energie effizienter und flexibler zu übertragen, zu verteilen und zu speichern. Die Entwicklung und Realisierung solcher flexiblen elektronischen Netze geht allerdings nicht ohne ein hohes Maß an transdisziplinärer Forschung und fachübergreifenden Kooperationen.
Wie sieht das in der Praxis aus?
De Doncker: Wir haben an der RWTH Aachen zu Demonstrationszwecken ein lokales Mittelspannungs- und Gleichspannungsnetz errichtet. Dieses 5.000 Volt Gleichspannungsnetzwerk wird innerhalb der Infrastruktur der Hochschule betrieben und koppelt das Center for Wind Drives mit dem fünf Megawatt Labor für Mittelspannungsumrichter des E.ON Energy Research Center. Damit können wir neue Gleichspannungskomponenten entwickeln wie Gleichspannungswandler für moderne Unterwerke, Windturbinen oder Schnellladesäulen.
Wissenschaft und Industrie forschen gemeinsam
Wer ist alles am FEN-Projekt beteiligt?
De Doncker: Gefördert wird der Forschungscampus vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Er ist ein Zusammenschluss von Instituten der RWTH Aachen sowie einem Konsortium von 21 Partnern aus unterschiedlichen Fach- und Unternehmensbereichen. Einer davon ist thyssenkrupp Steel mit seinem Geschäftsbereich Electrical Steel.
Herr Jansen, warum macht die Business Unit Electrical Steel beim FEN-Projekt mit?
Jansen: Wir finden es spannend und enorm wichtig, dass hier nicht nur alternative Konzepte für die Übertragung und die Verteilung von Strom erarbeitet, sondern konkret umgesetzt werden. Denn wollen wir die Energiewende ernsthaft betreiben, dann müssen wir neue, technische Lösungen dafür finden und den Beweis erbringen, dass sie funktionieren. Beim Thema Energieübertragung ist es für uns wichtig zu wissen wie die Stromnetze in Zukunft aussehen. Wenn sich die Netze verändern, dann ändern sich auch die dazugehörigen Übertragungseinrichtungen.
Und da kommt Electrical Steel ins Spiel…
Jansen: Genau, denn für die Stromübertragung braucht man Transformatoren und im Kern eines jeden Transformators steckt kornorientiertes Elektroband. Für uns geht es darum, unsere Werkstoffe frühzeitig dahingehend zu optimieren, dass sie den zukünftigen Anforderungen erfüllen können.
Die Lösung: Gleichstromtechnologie
Was sind das für Anforderungen?
De Doncker: Wenn wir künftig mehr oder sogar ausschließlich erneuerbare Energien einspeisen wollen, dann müssen wir dafür auch Speichersysteme schaffen. Und wir brauchen flexible Netze, die in der Lage sind, lokal erzeugte Energie auch lokal zu verteilen.
Warum geht das heute noch nicht?
Wenn Sie heute eine Photovoltaikanlage auf Ihrem Dach haben, können Sie überschüssige Energie nicht direkt an Ihren Nachbarn abgeben. Bisher ist es üblich, den Strom erst wieder in die Hochspannungsnetze zurückzuführen. Er wird also wieder auf eine höhere Spannung gebracht, dann über das übergeordnete Mittel- oder Hochspannungsnetz transportiert und anschließend wieder verteilt.
Wie sieht Ihre Lösung aus?
De Doncker: Der Schlüssel hierzu ist die Gleichstromtechnologie. Damit lassen sich Verteilnetze auf gleicher Spannung miteinander koppeln und ermöglichen einen direkten Energiefluss zwischen Erzeuger und Verbraucher. Über diese dezentralen Lösungen können mehrere Kunden in demselben Netz miteinander verbunden werden und auf lokalem Wege Energie austauschen. Aus „consumers“ werden „prosumers“, die Energie nicht nur verbrauchen, sondern auch produzieren.
Geringe Verluste sorgen für höchste Effizienz
Welche Rolle spielt kornorientiertes Elektroband dabei?
Jansen: Um so ein Gleichspannungsnetz aufzubauen und zu betreiben, werden elektrische Komponenten und Systeme benötigt wie zum Beispiel Gleichspannungstransformatoren. Der Kern eines solchen Geräts besteht aus hochmagnetischem Elektroblech, das auf höchste Effizienz ausgerichtet ist. Für das FEN-Projekt haben wir unser aktuell dünnstes Material zur Verfügung gestellt, um erstmals einen dreiphasigen, so genannten Solid-State-Transformator aufzubauen.
Auf was kommt es denn bei dem Material an?
Jansen: In erster Linie muss die magnetische Verlustleistung auf ein Minimum reduziert werden. Aber auch die thermische Stabilität und Festigkeit sind wichtig. So ein ist ständig in Betrieb. Der Transformator und sein Kern aus kornorientiertem Elektroband muss 24h am Tag und 365 Tage im Jahr funktionieren. Ein Ausfall eines Transformators kann größere wirtschaftliche Schäden oder ein Sicherheitsrisiko nach sich ziehen. Zum Beispiel musste im letzten Jahr der Flughafen Hamburg einen Tag seinen Betrieb aufgrund eines Transformatorenausfalls einstellen.
Ohne Elektroband keine Energiewende
Ist die Energiewende ohne kornorientiertes Elektroband zu schaffen?
Jansen: Nein, ohne unser Elektroband der Marke powercore® ist die Energiewende nicht machbar. Ob Windkraft- oder Photovoltaikanlagen, alle brauchen einen Transformator, um ihre Energie in die Netze zu speisen. Auch die Elektromobilität funktioniert nicht ohne kornorientiertes Elektroband, denn in jeder Ladesäule steckt ein Transformator.
Die Effizienzquote von Elektroblech hat sich um bis zu 40 Prozent in den vergangenen Jahren verbessert. Ist da noch Luft nach oben?
Jansen: Da bin ich mir absolut sicher und das ist für uns auch Innovationstreiber. Um Elektroband mit möglichst geringen, elektrischen Verlustleistungen herzustellen, braucht es ausgeklügelte Wärmebehandlungsverfahren. Sowohl in der Forschung, Entwicklung als auch in der Produktion investieren wir permanent in die neueste Technologie. Genau deswegen beteiligen wir uns auch am FEN-Projekt, damit wir Trends rechtzeitig erkennen und unsere Werkstoffe für die Zukunft vorbereitet sind.
De Doncker: Wir haben im Übrigen in all unseren Studien festgestellt, dass wir mit dem kornorientierten Elektroband von thyssenkrupp Steel die höchste Effizienz erreichen. Beim heutigen Stand der Leistungselektronik erzielen sowohl die thermischen als auch die elektromagnetischen Eigenschaften hervorragende Ergebnisse.
Mit Elektroband das Klima retten
Was unterscheidet den Transformator für ein flexibles Netz von einem Transformator für unser aktuelles Stromnetz?
Jansen: Er ist viel kleiner und leichter und mit viel mehr Elektronik ausgestattet. Dieser neuartige Transformator lässt sich derzeit nur mit unserem extrem dünnen und verlustarmen powercore® herstellen. Das Beste daran: Der Trafo ist keine Vision, sondern wird im Rahmen des Forschungscampus FEN unter industriellen Bedingungen hier in Europa von einem unserer Kunden gebaut. Er ist also reproduzierbar und könnte sofort in die Serienproduktion gehen.
Ein Beweis, dass der Werkstoff Stahl hochmodern ist und in keiner Weise zum alten Eisen gehört…
Jansen: Für mich als Maschinenbauingenieur und Werkstoffwissenschaftler ist Stahl immer ein faszinierender Werkstoff. Er verbindet eine Vielzahl von Eigenschaften, die andere Materialien in dieser Form nicht leisten können. Abgesehen davon: Kein anderer Werkstoff hat eine so hohe Recyclingquote und ist so nachhaltig wie Stahl.
Lässt sich mit den Nachhaltigkeitskonzepten, die Sie hier am FEN gemeinsam entwickeln, der Klimawandel langfristig abbremsen?
De Doncker: Ich bin als Leistungselektroniker davon überzeugt. Die Leistungselektronik ist in der Lage, Ökostrom flexibel umzuwandeln, zu steuern und zu speichern – sodass wir in Zukunft alle elektrische Energie aus regenerativen Ressourcen erzeugen können. Und für diesen Prozess benötigen wir nicht nur Leistungshalbleiter, sondern auch auch magnetische Komponenten wie Transformatoren und Spulen.
Jansen: Wie schon gesagt, wenn uns die Energiewende gelingen soll und zwar ohne unseren Lebensstandard einzuschränken, dann müssen wir das technisch lösen. Hier am Forschungscampus wird ganz konkret nachgewiesen, dass es Lösungen gibt und sie auch darstellbar sind. Wenn wir als Electrical Steel dazu einen Beitrag leisten können, wie im konkreten Fall die Realisierung intelligenter, flexibler Stromnetze, umso besser.