Toni, wie kam es zu der Zusammenarbeit zwischen thyssenkrupp und eurem Doppelsitzer?
Toni Eggert: Der Kontakt ist ursprünglich durch Herbert Schneevoigt entstanden, der hier in Ilsenburg beim Aufbau des thyssenkrupp Werks dabei war. Er ist leider in diesem Jahr verstorben. Wir kannten uns gut, denn mein Großvater und Herr Schneevoigt sind in jungen Jahren ebenfalls gerodelt und zusammen Doppel gefahren. Er hat mich dann mit Kollegen von Components Technology in Essen und Alex Meier im TecCenter für Antriebstechnologie in Liechtenstein bekannt gemacht. Das war im Sommer 2014.
Wie sieht diese Zusammenarbeit konkret aus?
Eggert: Zunächst steht uns mal das gesamte Fachwissen der Technologie-, Werkstoff- und Verfahrensexperten von thyssenkrupp zur Verfügung. Und dann bin ich hier auf den optimalen Stahl für unsere Schlittenschienen gestoßen. Ich habe eine genaue Vorstellung davon, wie die Schiene auszusehen hat und was sie können muss. Über die Jahre habe ich so viel Erfahrung gesammelt, dass ich weiß, was für einen Werkstoff ich für die Fertigung benötige.
Was ist denn die wichtigste Eigenschaft, die der Stahl erfüllen muss?
Eggert: Der Reibungswiderstand muss gering sein. Im Rennen ist das das Wichtigste: So wenig Widerstand wie möglich erzeugen, um so schnell wie möglich zu sein.
Und warum hast du dich für einen Grobblech-Stahl von thyssenkrupp entschieden?
Eggert: Neben dem niedrigen Widerstandswert hat das Material den Vorteil, dass ich es so, wie es ist, bearbeiten kann. Das heißt, ich muss es nachträglich weder härten oder vergüten noch mit einer Oberfläche versehen. Andere Stähle, die vielleicht infrage kämen, haben meist eine Beschichtung. Der Nachteil hierbei: Oft lässt sich der Werkstoff hinterher nicht mehr biegen, bohren, schleifen oder sonst wie behandeln. Wenn ich es doch versuche, ist die Schicht weg und das Material funktioniert nicht mehr.
Michael Linnepe: Hattest du bei unserem Werkstoff schon mal Probleme mit Oberflächenfehlern?
Eggert: Nein, noch nie.
Da wir in dem Fall parteiisch sind, sagen wir nicht, um welches Material es sich handelt ...
Eggert: Oh ja, ich bitte darum! Nur so viel: Der Stahl ist sehr zäh, widerstandsfähig und lässt sich super bearbeiten. Wir können auch mal über Steinchen fahren, ohne dass sich sofort Krater bilden. All diese Eigenschaften, in Kombination mit dem geringen Reibungswiderstand, machen den Stahl von thyssenkrupp für uns zum idealen Material.
Herr Linnepe, wo kann der Stahlbereich denn noch unterstützen?
Linnepe: Bei so einer Stahlschiene machen ja minimalste Veränderungen den Unterschied. Hier haben wir Folgendes gemacht: Wir haben die Geometrie der aktuellen Schiene Millimeter für Millimeter messtechnisch erfasst, sozusagen den Ist-Zustand bestimmt. Theoretisch könnte man nun mit diesen Daten zukünftige Schienen optimieren.
Sie sagen „theoretisch“, warum nicht in der Praxis?
Linnepe: Dafür braucht man ein spezielles Werkzeug, eine sogenannte Fünf-Achsen-Fräsmaschine. Sie wird mit den CAD-Daten der Vermessung gefüttert und kann die Schiene exakt fertigen. Und nicht nur das! Anhand des 3D-Modells ließe sich die Schiene nicht nur kopieren, sondern weiter optimieren. So eine Mehrkomponentenfräse hat allerdings ihren Preis, die hat man nicht einfach so rumstehen. Es wäre aber der nächste logische Schritt. In Verbindung mit Tonis Erfahrungen könnten somit für alle Eventualitäten, seien es Witterungsverhältnisse oder die Beschaffenheit der verschiedenen Rodelbahnen, passende Schienen hergestellt werden.
Eggert: Das wäre der Wahnsinn! Im Idealfall gebe ich da dann meine persönlichen Referenzwerte ein und alle anderen Parameter passen sich automatisch an. So habe ich ein fertiges CAD-Modell, das gefräst werden kann. Damit könnte ich mir mindestens zwei Monate Arbeit ersparen. Bisher mache ich das alles in Handarbeit.
So lange arbeitest du an einer neuen Schiene?
Eggert: Ja, mindestens. Nach dem Fräsen muss ich sie biegen und passe sie an. Danach wird sie auf die Kufe gespachtelt und die Spur reingeschliffen. Das alles dauert ungefähr zwei Monate. Erst dann mache ich den ersten Praxistest und fahre damit. In den folgenden Wochen taste ich mich langsam an den optimalen Zustand der Schiene heran. Ich runde ab und schärfe, je nach den Eisbedingungen in der Bahn. Wirklich fertig ist die Schiene niemals.
Wann und wo machst du die Testfahrten?
Eggert: Im Winter sind wir mit der deutschen Nationalmannschaft vier bis fünf Wochen unterwegs und trainieren. In den Weltcup-Wochen selbst haben wir fünf Trainingsläufe, sodass man sich und den Rodel noch mal auf die jeweilige Bahn einstellen kann.
Es hilft also nicht, dass du mittlerweile alle Bahnen gefahren bist und bereits kennst?
Eggert: Nein, auch wenn es abgedroschen klingt, aber jedes Rennen ist anders. Das fängt mit der Außentemperatur an: Bei minus 15 Grad musst du eine ganz andere Kante fahren als bei plus 10 Grad. Das Eis wird zwar künstlich gekühlt, aber die Oberfläche ist trotzdem weicher als bei Minusgraden in der Luft. Auch der Zeitpunkt des Rennens spielt eine Rolle. Am Ende einer Saison ist auf der Bahn in der Regel viel mehr Eis als zu Beginn. Die Bahncrews spritzen Wasser auf, womit die Eisschicht wächst und die Radien enger werden.
Ist das normal, dass man sich als Rodler seinen eigenen Schlitten baut?
Eggert: Nein, ich denke es gibt aktuell niemanden, der das in diesem Umfang macht wie ich. Ein paar Schlitten werden zwar auch zusammen von Mechanikern und Sportlern gebaut, in der Regel haben wir in Deutschland aber die FES (Institut für Forschung und Entwicklung für Sportgeräte), die den größten Teil der Nationalmannschaft mit Material ausrüstet. Die Mechaniker oder Trainer machen dann lediglich zusammen mit den Athleten die Feinabstimmung.
Umso wichtiger, dass es Unterstützung von außen gibt ...
Linnepe: Unbedingt, im ersten Schritt leisten wir von der Anwendungstechnik bei thyssenkrupp Steel Know-how-Transfer, nur diesmal nicht wie sonst üblich für ein Auto, sondern einen Sportschlitten. Der nächste Schritt ist, wie gesagt, die Übertragung der aktuellen Geometrie auf ein neues Werkstück – um in Zukunft die Schienen mit den generierten Daten auf alle erdenklichen Gegebenheiten anzupassen.
Toni, wann hast du mit dem Rodeln angefangen?
Eggert: Mit elf Jahren. Mein Opa ist schon gerodelt und auch mein Vater. 1988, in dem Jahr, als ich geboren wurde, war mein Vater im Olympiakader, musste aber nach einem Unfall aufhören. Später haben wir dann immer zusammen die Rennen geschaut, ich habe seine Pokale zu Hause gesehen und irgendwann wollte ich das auch machen.
Wie lange willst du noch aktiv sein?
Eggert: Mein letztes Rennen soll bei der Olympiade 2022 in Peking sein, sofern ich mich dafür qualifizieren kann. Eigentlich wollte ich nach den kommenden Spielen aufhören, aber es läuft grad so gut.