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Raus aus dem Schatten

Die Zeit ist reif für alltagstaugliche und nachhaltig entwickelte Solarfahrzeuge. Die Studenten der Hochschule Bochum treten mit dem thyssenkrupp blue.cruiser den Beweis an.

(Text: Judy Born, Fotos: Rainer Kaysers)

Es sind die letzten Tage im August in New South Wales bei milden 13 Grad. Trotzdem kommt die kleine Studentengruppe ein wenig ins Schwitzen. Im Hafen von Sydney warten die Hochschüler aus Deutschland mit klopfendem Herz darauf, dass die Männer vom Zoll ihren Container freigeben: Formulare werden geprüft, Transport- mit Bestandslisten verglichen, Frachtkisten kontrolliert, der Inhalt inspiziert.

Anfang Juli in Hamburg eingeschifft, fasst dieser Container das gesamte Werkzeug und wichtiges Equipment für das neueste Solarfahrzeug der Hochschule Bochum. Außerdem einen Großteil des Gepäcks von mehr als 50 Kommilitonen: vom Autoanhänger über Zelte und Schlafsäcke bis zu einer teilweise zerlegten Fahrzeugbatterie.

Alle zwei Jahre findet in Australien die Weltmeisterschaft der Solarcars statt. Sie wird auf öffentlichen Straßen ausgetragen und führt einmal von Norden nach Süden durch den fünften Kontinent. Los geht es am 8. Oktober in Darwin, an der Küste des Northern Territory. Sechs Tage und 3.000 Kilometer später sollen die Teilnehmer in Adelaide, der Hauptstadt des Bundesstaates South Australia, ankommen.

Solarauto mit Alltagsbezug

Das Team aus Bochum geht diesmal mit dem thyssenkrupp blue.cruiser an den Start, der zusammen mit seinen Erbauern im August von Deutschland aus ins ferne Outback fliegt. Es ist die dritte Forschungskooperation von thyssenkrupp und der Hochschule, die seit über 15 Jahren solarbetriebene Elektroautos konstruiert. Der thyssenkrupp blue.cruiser startet wie sein Vorgänger wieder in der Cruiser-Klasse in den Wettkampf. In dieser Kategorie kommt es weniger auf Geschwindigkeit als auf die Alltagstauglichkeit an. „Unser Ziel ist es, einen Wagen zu entwickeln, mit dem die Menschen in absehbarer Zeit tatsächlich fahren können“, sagt Friedbert Pautzke, Elektrotechnik-Professor an der Hochschule und Initiator des Solarcar-Projekts.

Bei unseren Solarcar-Modellen ist Aufmerksamkeit garantiert.

Friedbert Pautzke, Hochschule Bochum

Das Fahrzeug muss für den Cruiser-Wettbewerb eine Straßenzulassung im Ursprungsland besitzen und mindestens zwei Personen Platz bieten – kein Problem für den blue.cruiser: Er hat sogar vier Sitzplätze. Das Design des Sportcoupés stammt von einem Studenten der renommierten Essener Folkwang-Universität. In enger Zusammenarbeit mit den angehenden Ingenieuren aus Bochum hat er eine elegant-dynamische Silhouette entworfen. „Bei unseren Solarcar-Modellen ist Aufmerksamkeit garantiert“, sagt Friedbert Pautzke voller Stolz.

Technologiekompetenz aus drei Geschäftsbereichen

Technologisch ist das Fahrzeug vollgepackt mit Know-how von thyssenkrupp. Aus dem Stahlbereich kommen der Werkstoff für den Überrollkäfig der Fahrerkabine, die eigens für das Sonnenauto gefertigten Felgen, das Elektroblech für den Elektromotor und die Rücksitzbank aus Stahl-Polymer-Sandwichmaterial. Dirk Bartels, der seit fünf Jahren das Innovationsmanagement bei thyssenkrupp leitet, sagt: „Für uns als Unternehmen liegt der Reiz an dem Projekt darin, dass wir zusammen mit der Hochschule wichtige Erfahrungen sammeln können, was Anwendung und Verarbeitung unserer diversen Materialien und Bauteile in solchen Fahrzeugen betrifft.“

Neben dem Stahlbereich als Hauptpartner sind auch die Kollegen von Components Technology und Materials Services mit von der Partie. „Obwohl man fairerweise sagen muss, dass das ursprünglich eine Idee von thyssenkrupp Steel war, doch wir haben über die Jahre gemerkt, dass im Konzern noch viel mehr Anknüpfungspunkte bestehen.“ Das Projekt ist dafür da, technische Neuerungen zu entwickeln, aber auch um Persönlichkeiten zu bilden. „Meine Motivation war es, den Studenten Verantwortung zu übertragen“, sagt Pautzke. „Wir wollen eigenständig denkende und handelnde Menschen ausbilden, die später im Beruf und im Leben Entscheidungen treffen und dazu stehen.“

Wir hoffen, dass wir über die Kooperation Studenten für thyssenkrupp begeistern und sie diesen Forscher- und Unternehmergeist künftig bei uns einbringen können.

Dirk Bartels, thyssenkrupp

Die Studenten agieren hier auf der Basis des praxisorientierten, problembasierten Lernens. Das heißt, sie müssen sich ihr Wissen und Können selbstständig oder im Team erarbeiten. „Neben den technischen Erkenntnissen ist für uns gerade dieser Aspekt der Ausbildung von Bedeutung“, so Bartels. „Wir hoffen, dass wir über die Kooperation Studenten für thyssenkrupp begeistern und sie diesen Forscher- und Unternehmergeist künftig bei uns einbringen können.“ Werden die Hochschüler zu Beginn einer neuen Projektrunde noch von erfahrenen Teilnehmern oder Professoren unterstützt, sind sie im weiteren Verlauf immer mehr auf sich gestellt. Das reicht von der Konstruktion und dem Bau des Fahrzeugs bis zur Organisation der Reise nach Australien. „Beim allerersten Solarcar waren es 15 Studenten“, erinnert sich Pautzke. „Heute sind es über 60.“

Erste Kooperation mit LCA-Analyse

Nicht nur die Popularität ist gestiegen, auch die Anzahl der beteiligten Studiengänge. Die jüngsten Zugänge stammen aus dem Studiengang Nachhaltige Entwicklung, der seit vier Jahren in Bochum angeboten wird. Ein wichtiges Thema auch für thyssenkrupp. Erstmals gibt es für das Solarcar in diesem Jahr eine Lebenszyklusanalyse (LCA). Bartels: „Wir verstehen Nachhaltigkeit unter drei Aspekten: ökologisch, sozial und wirtschaftlich. Um diesen Dreiklang mithilfe einer LCA zu bestimmen, brauchen wir entsprechend ausgebildete Mitarbeiter. Auch hier können wir von der Kooperation profitieren.“ Insgesamt stehe das Projekt daher auf ideale Weise für den Konzern-Claim „engineering.tomorrow.together.“

Um Gemeinsamkeit geht es auch bei den Studenten. Jeder, der zum Gelingen des Vorhabens beigetragen hat, darf nach Australien mitkommen – und muss dort ebenfalls einen Job übernehmen. Sei es im Technik- oder Medienteam, bei der Küchen- oder der Transportmannschaft. Selbst die Logistik-Crew wird nach erfolgreicher Übernahme des Containers weiterhin dafür sorgen, dass in den kommenden Wochen alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Gewonnen haben die Hochschüler schon jetzt: Erfahrungen, Erkenntnisse, Eindrücke und Selbstvertrauen. Unabhängig davon, wie schnell der thyssenkrupp blue.cruiser im Oktober das Ziel erreicht.

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